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Le Mond - Frankreich

Reise durch ein zerrüttetes Land

Die majestätische Silhouette ​der Zitadelle von ⁢Aleppo stach im Mondlicht hervor. Verkäufer, die Zuckerwatte und gegrillten⁣ Mais anboten, riefen nach gut gekleideten syrischen Familien, die​ entlang der⁢ Gräben flanierten. Von einer überdachten Terrasse ‍drangen ‍die Klänge ⁤eines ⁣traditionellen Musik-Konzerts, das für einige wenige Mitglieder der Elitekreise Aleppos‍ aufgeführt wurde, ⁣auf die Straße. In⁣ den hell erleuchteten Cafés vermischte sich​ der Duft von Wasserpfeifen mit der bezaubernden Stimme von Sabah Fakhri, der verstorbenen​ arabischen ⁢Musiklegende, die aus der Stadt stammte. An diesem Sommerabend versuchte jeder, ⁤die Narben ‌des Krieges und ‌die Härte der Wirtschaftskrise zu vergessen.

Der mittelalterliche Stadtfestung überblickend war die Zitadelle⁤ Schauplatz einer Schlacht, die von Juli 2012 bis Dezember 2016 tobte, zwischen den loyalen Truppen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, ​die sich​ hinter den Mauern und in West-Aleppo verschanzt hatten, und den Rebellen, die das historische ⁢Zentrum der Stadt und die östlichen Viertel kontrollierten. Nach zwei Belagerungen und ⁢vielen verheerenden Schlachten erlangte die⁢ Armee des Regimes, unterstützt von russischen Flugzeugen und mit dem Iran verbündeten schiitischen Milizen, schließlich die ​Kontrolle über die Stadt zurück.

Die Narben dieser Schlachten waren immer noch in den zerstörten​ Gebäuden des Geisterbezirks‍ neben der Zitadelle und in den verkohlten ⁢Ruinen des Souks zu ⁣sehen. Von der ‌Vorkriegsbevölkerung der Stadt von ⁣etwa 3 Millionen Menschen ⁣sind laut der NGO Violations Documentation Center in Syria mehr als ​30.000 Menschen – hauptsächlich Zivilisten – gestorben und 1 Million geflohen. Die Hälfte aller Häuser wurde zerstört oder beschädigt, hauptsächlich in ‌den östlichen Vierteln. ⁢Ein Drittel des historischen Zentrums, ein ⁤UNESCO-Weltkulturerbe, ‍wurde zu Schutt reduziert.⁢ Was bleibt, ist schwer beschädigt. Das Erdbeben, das am 6. Februar⁢ 2023 den Nordosten Syriens und das⁤ benachbarte Türkei erschütterte,‍ trug nur zur traurigen Lage bei.

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Die gemarterte Stadt, einst ein ⁣antikes ‍und prosperierendes Zentrum am Schnittpunkt der Seidenstraße und Syriens Wirtschaftsmacht vor ⁤der Revolution von 2011, hat einen‌ Großteil ihres kulturellen Erbes und ihrer industriellen Infrastruktur verloren. „Es ist ein Teil⁢ unserer Seele, der Identität der Stadt, der verloren gegangen ist“, beklagte ein Künstler ⁤aus Aleppo. „Die Kinder werden diese Geschichte nicht kennen; es schmerzt mich, meine Stadt geteilt und zerstört zu sehen.“

Früh⁣ am Morgen räumten Arbeiter, die vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) eingestellt wurden, die Trümmer​ am Eingang des Souks ⁣weg. Der weitläufige überdachte Markt, der einst Tausende von Geschäften und Dutzende von jahrhundertealten Karawansereien beherbergte, beginnt gerade erst wieder⁤ zum Leben zu erwachen. Rehabilitationsprojekte, die 2017 unter der ⁤Schirmherrschaft der Aga Khan Foundation, der UNESCO ‌und​ des umstrittenen Syria Trust for Development, geleitet von‍ der⁤ Frau von Präsident Assad, gestartet wurden, haben einige der Gassen des Marktes wiederhergestellt. Die Akhmad Kadyrov Foundation, die ‍mit dem⁣ tschetschenischen​ Führer Ramzan Kadyrov und Moskau verbunden ist, hat das 45 ​Meter hohe Minarett der Umayyad-Ära der Großen ⁤Moschee von Aleppo restauriert, das‌ 2013 durch Bombenangriffe⁣ zerstört wurde.