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Le Mond - Frankreich

Macrons Appell zum Schutz Europas

Emmanuel Macrons erste Rede an der Sorbonne im Jahr 2017 sollte den Grundstein für ein souveränes Europa legen, ein Europa der Hoffnung, „das Europa, das schützt“. In seiner zweiten Rede an der Pariser Institution am Donnerstag, den 25. April, erkannte der französische Präsident die düstere Art und Weise an, in der sich die Welt verändert hat, indem er Europa als einen Ort darstellte, der, um seine Bürger zu schützen, zuallererst sich selbst schützen muss.

In der Tat präsentierte Macron eine fast apokalyptische Perspektive und warnte, dass „Europa sterben kann“, wenn es mit den Gefahren konfrontiert wird, die ihm drohen. Die dramatische Wirkung war beabsichtigt. Dem Präsidenten ist dies nicht fremd, da er bereits 2019 die Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) für „hirntot“ erklärt hatte. Russlands Krieg in der Ukraine hat als Schocktherapie gedient und die NATO ist jetzt in besserer Verfassung als je zuvor.

Die Maßnahmen, die Macron zur Verteidigung Europas vorschlug, waren also den von ihm beschriebenen Herausforderungen angemessen. Zunächst einmal wurde die Möglichkeit, dass der amerikanische Verbündete das Interesse an der Verteidigung Europas verliert, unabhängig davon, wer sein Präsident ist, klar angesprochen: Die Vereinigten Staaten haben zwei Prioritäten, sich selbst und China, betonte Macron. Diese Feststellung macht den Aufbau einer „glaubwürdigen europäischen Verteidigung“ erforderlich, um die Sicherheit Europas zu gewährleisten, das von „ungehemmten Regionalmächten“ wie Russland und dem Iran „eingekreist“ ist. Es ist übrigens erwähnenswert, dass Russland zu einer Regionalmacht herabgestuft wurde. Dies wird Wladimir Putin sicherlich nicht entgangen sein, denn er hatte diese Einstufung bereits als Beleidigung empfunden, als sie 2014 von US-Präsident Barack Obama geäußert wurde.

Massiv investieren

Diese europäische Verteidigung, die von der europäischen Säule der NATO unterstützt wird, aber nicht nur, muss in der Lage sein, auf die „Beschleunigung der globalen Aufrüstung“ zu reagieren. Das „starke Europa“, für das der französische Präsident eintrat, müsste seine eigene Waffenproduktion den massiven Käufen aus den Vereinigten Staaten vorziehen und sich auch auf Frankreichs nukleare Abschreckungsstreitkräfte stützen, deren europäische Mission bekräftigt wurde.

Der „Paradigmenwechsel“, den Macron für das Überleben Europas als notwendig erachtet, würde für die Wirtschaft ebenso gelten wie für die Sicherheit. Auch hier stellte er fest, dass die beiden Supermächte, die Vereinigten Staaten und China, „beschlossen haben, die Handelsregeln nicht mehr zu respektieren.“ Wenn sie nicht ins Hintertreffen geraten und in die „Verarmung“ abrutschen wollen, müssen die Europäer auch massiv und vor allem gemeinsam in Innovation, neue Technologien, künstliche Intelligenz und Dekarbonisierung investieren.

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Keines dieser Themen war wirklich neu im Vokabular des Präsidenten. Die europäischen Partner, denen das transatlantische Band am meisten am Herzen liegt, werden zweifellos besorgt darüber sein, dass er die wachsende Kluft zu den Vereinigten Staaten in den Vordergrund gestellt hat. Doch die klare Einschätzung in dieser Rede deckt sich mit den jüngsten Diagnosen der ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta und Mario Draghi sowie am Donnerstag des polnischen Diplomatiechefs Radoslaw Sikorski. Sie alle haben radikale Veränderungen für Europa gefordert, das als zu langsam dargestellt wird, um die tiefgreifenden Umwälzungen in der Welt zu bewältigen.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßte am Donnerstag die „guten Impulse“, die in der Rede seines französischen Kollegen zum Ausdruck kamen. Jetzt muss nur noch geklärt werden, welche das sind, und vor allem muss man sich endlich auf einen Aktionsplan zum Aufbau eines „starken Europas“ einigen.

Übersetzung eines Originalartikels, veröffentlicht auf Französisch am lemonde.fr; der Verleger kann nur für die französische Version haftbar gemacht werden.

https://www.lemonde.fr/en/opinion/article/2024/04/26/macron-s-appeal-to-protect-europe_6669598_23.html?rand=714

Es handelt sich hierbei um Veröffentlichungen von der Tageszeitung Le Monde aus Frankreich. Wir haben diese lediglich übersetzt. Dies soll eine Möglichkeit der freien Willensbildung darstellen. Mehr über uns erfahrt Ihr auf „Über Uns“